Die Top 10 der Mythen im Bereich Übersetzen
13. Mai 2020


In unserer digitalisierten Welt verbreiten sich Informationen – wahre wie falsche – wie Lauffeuer. Da kann es schwerfallen, zu nachweislichen Fakten vorzudringen. Dasselbe beobachten wir auch in der Lokalisierungs- und Übersetzungsbranche, die von Außenstehenden größtenteils missverstanden wird. Daher hielten wir es für angebracht, die zehn am weitesten verbreiteten Mythen im Bereich Übersetzen zu widerlegen, die uns im privaten Umfeld immer wieder entgegengebracht werden.
Jeder, der mehr als eine Sprache spricht, kann übersetzen. Zum Übersetzen reicht es, Muttersprachler zu sein.
Das hängt vom erwarteten Qualitätsniveau ab. Sicher, Sie müssen keinen Sprachdienstleister beauftragen, wenn Sie zum Privatgebrauch schnell etwas übersetzt brauchen oder jemanden ein Dokument überfliegen lassen müssen, um die darin verwendete Sprache zu bestätigen. In den meisten internationalen Unternehmen gibt es Muttersprachler, die unkritische Aufgaben übernehmen können. An Kunden gerichteter Content und Dokumente, die für wichtige unternehmerische Entscheidungen herangezogen werden, erfordern jedoch professionelle Übersetzer, die beide Sprachen auf sehr hohem Niveau beherrschen, möglichst in die Muttersprache übersetzen und vorzugsweise im Land der Zielsprache leben. Sie sind ausgebildete Linguisten oder Übersetzer und müssen strenge Prüfungen bestehen, um für professionelle Sprachdienstleister arbeiten zu dürfen.Übersetzen und Dolmetschen ist dasselbe.
Dolmetscher sind im Grunde redende Übersetzer und müssen in Sekundenbruchteilen die richtige Formulierung finden. Diese speziell geschulten Experten werden für bestimmte Veranstaltungen oder Verpflichtungen gebucht, weshalb sie Zeit dafür verwenden, vorbereitende Besprechungsunterlagen durchzugehen und ihre Terminologiekenntnisse gezielt zu erweitern, bevor sie sich der Live-Situation stellen. Wie Sie wissen, arbeiten Übersetzer ausschließlich mit geschriebener Sprache. Sicher müssen auch sie Fristen beachten und mithilfe ihrer Tools und Fertigkeiten für Einheitlichkeit und Einhaltung der Terminologie sorgen, doch sie haben mehr Zeit, Formulierungen zu finden und Themen zu recherchieren. Sie sehen also, beide Berufsfelder erfordern unterschiedliche Qualifikationen und Fertigkeiten.Übersetzung bedeutet doch bloß, im Wörterbuch nachzuschlagen.
Wer um Himmels Willen kam denn bloß auf diese Idee? Sogar die ersten Formen der maschinellen Übersetzung waren ausgeklügelter. Denken Sie nur an die Grundbausteine einer Sprache: Wörter und Regeln. Ginge es beim Übersetzen nur darum, ein Wort durch ein anderes zu ersetzen, hätte die Lokalisierungsbranche gar keine Daseinsberechtigung. Übersetzen heißt eben nicht nur, die Wörter und Syntax einer Sprache zu übertragen, sondern auch zusätzliche Aspekte wie mitschwingende Emotionen und Absichten einzubeziehen. Wenn Sie das noch nicht ganz überzeugt hat, sehen Sie sich am besten den bekannten Film „Lost in Translation“ an.Übersetzen ist ein aussterbender Beruf. Bald wird sowieso alles maschinell übersetzt!
Nicht so schnell … Obwohl der Autor dieses Texts von künstlicher Intelligenz überzeugt ist und davon ausgeht, dass Aufgaben wie das Übersetzen eines Tages komplett von Maschinen ausgeführt werden, ist es noch zu früh für Prognosen, wann genau das sein wird. Content umfasst je nach seinem Zweck unterschiedliche Bedeutungsebenen und spricht verschiedene Emotionen an. Texte wie Bedienungsanleitungen oder Hilfeartikel sollten im Inhalt recht technisch und emotionslos sein, weshalb es kaum linguistische Kreativität erfordert, sie zu verfassen. (Eine ausgereifte, gut trainierte Engine für die maschinelle Übersetzung kann das.) Eine Marketingbroschüre oder die Webseite einer Produktkampagne erfordert mehr Kreativität. Gelungene Übersetzungen wecken Emotionen und den Wunsch, das Produkt zu kaufen. (Darum werden sich möglicherweise auch in aller Zukunft Menschen kümmern.) Es ist noch viel zu tun, bis Engines für die maschinelle Übersetzung Emotionen verstehen können, ganz zu schweigen davon, sie von einer Sprache und Kultur in eine andere zu übertragen. Erst, wenn der Zustand der Singularität erreicht ist, wird der Beruf des Übersetzers überflüssig – doch zu diesem Zeitpunkt wird die Zukunft der Übersetzer womöglich nicht unsere größte Sorge sein.Für jeden Satz gibt es genau eine korrekte Übersetzung. Zwei erfahrene Übersetzer werden daher identische Übersetzungen liefern.
Wäre das nicht schön? Ein einfaches Beispiel räumt mit dieser Idee auf: „Ich sah einen Mann auf einem Hügel mit einem Teleskop.“ Dieser einfache Satz kann im Deutschen fünf Bedeutungen haben – und damit fünf Mal anders übersetzt werden.** Wenn frühere Übersetzungen aus einem Translation Memory angezeigt werden, muss auch der Kontext dieser Segmente geprüft werden. Stellen Sie sich vor, Sie müssten den oben stehenden Satz korrekt übersetzen, ohne die Hintergrundgeschichte zu kennen. Abgesehen davon hat jeder Übersetzer seine Präferenzen und wird den Satz daher etwas anders wiedergeben, beispielsweise unter Zuhilfenahme verschiedener grammatischer Strukturen und Synonyme. Hier können linguistische Assets helfen – genauer gesagt Styleguides und Glossare, die sicherstellen, dass Linguisten die Vorgaben von Kunden einhalten. Es gibt noch eine andere Möglichkeit, abweichende Übersetzungen derselben Bedeutung zu vermeiden und die Wiederverwendung früherer Übersetzungen zu unterstützen: Die Ausgangssprache sollte einfach gehalten und der Content sollte standardisiert und modular sein. ** Neugierig geworden? Das sind die fünf Bedeutungen?- Ein Mann befand sich auf einem Hügel. Ich sah ihn durch mein Teleskop.
- Ein Mann befand sich auf einem Hügel. Ich sah ihn und er hatte ein Teleskop.
- Ein Mann befand sich auf einem Hügel. Auf dem Hügel ist auch ein Teleskop.
- Ich befand mich auf einem Hügel und sah einen Mann mithilfe eines Teleskops.
- Ich befand mich auf einem Hügel und sah einen Mann, der ein Teleskop hatte.