Ihre Webseite für neue Märkte: erst globalisieren, dann lokalisieren

Lee Densmer 01. Apr. 2020
Ihre Webseite für neue Märkte: erst globalisieren, dann lokalisieren
In einer idealen Welt würden wir sämtliche Webseiten an die lokalen Interessen und Vorlieben jedes einzelnen Zielmarktes anpassen. Doch selbst die größten Unternehmen der Welt haben weder die Zeit noch das Geld, um jedes Benutzererlebnis individuell zu gestalten. Angesichts dessen stellt sich die Frage: Ist ein globales Webseitendesign möglich, das überall auf der Welt gleichermaßen gut ankommt, anstatt für jeden Markt ein neues Design zu entwickeln, technisch umzusetzen und zu lokalisieren? Die Antwort lautet leider nein – es gibt keine Schablone, in die sich alle Sprachen und Kulturen hineinpressen lassen. Und die geschmacklichen Differenzen fallen je nach kultureller Distanz unterschiedlich stark aus. Im E-Commerce zum Beispiel kommen Abbildungen von Personen und eine breite Farbpalette in den USA ebenso gut an wie in Frankreich. Ganz anders fällt der Vergleich zwischen den USA und Saudi-Arabien aus: Saudi-arabische Webseiten sind weitaus weniger farbenfroh und setzen Fotos von Menschen viel sparsamer ein. Auch möchten amerikanische Benutzer den Preis für digitale Angebote wie Onlinekurse gern vorab wissen, während Saudis zunächst umfangreiche Informationen abrufen möchten, bevor sie einen Kurs buchen – folglich muss die Customer Journey in beiden Ländern ganz anders aufgebaut sein. Webseiten auf solche Vorlieben abzustimmen, ist zweifelsohne wichtig, aber leider auch zeit- und kostenintensiv. Eine Lokalisierung des Benutzererlebnisses für jedes einzelne Land scheidet daher wohl in den meisten Fällen aus. Um Kosten zu sparen, ist es sinnvoller, sich nur auf die wichtigsten Zielmärkte zu konzentrieren oder kulturell ähnliche Märkte zusammenzufassen. In der Zwischenzeit sollten Sie Ihre Hauptwebseite für ein internationales Publikum optimieren – sprich: globalisieren –, damit Sie eine möglichst breite Zielgruppe zu möglichst niedrigen Kosten ansprechen können. Wie das geht, erläutern wir in diesem Artikel. Zunächst einmal müssen wir einige Begrifflichkeiten klären:
  • Benutzererlebnis (User Experience, UX): Faktoren, die die Wahrnehmung einer Webseite durch Besucher beeinflussen.
  • Benutzerfreundlichkeit: Faktoren, die die Funktionalität einer Webseite beeinflussen – unabhängig vom Land.
Diese Unterscheidung ist wichtig, denn auf erstaunlich vielen Webseiten hapert es bei der Benutzerfreundlichkeit: Aktionen lassen sich nicht ausführen, Seiten werden nicht geladen und so weiter. Eine optimale Funktionalität ist jedoch eine notwendige erste Voraussetzung für ein kulturübergreifend akzeptables Benutzererlebnis. Die Benutzerfreundlichkeit ist Teil des Benutzererlebnisses und hat wesentlichen Einfluss darauf. Denn wenn die Technik schon nicht funktioniert, nützt die beste Lokalisierung auch nichts mehr. Zum Glück ist die Benutzerfreundlichkeit ein universaler Wert. Damit Ihre Webseite also bei allen Besuchern gut ankommt, sollten Sie einige Dinge beachten. Die drei wichtigsten Punkte präsentieren wir hier. So gewährleisten Sie, dass die Benutzeroberfläche Ihrer Webseite optimal funktioniert – in allen Märkten und ganz ohne Lokalisierung.

1. Erreichen von Benutzerzielen

Besucher Ihrer Webseite sollten ihre Ziele erreichen können, unabhängig von ihrem Wohnort oder ihren Fähigkeiten. Daher sollten Sie sich als erstes die Frage stellen: „Welchem Hauptziel dient unsere Webseite?“ Als zweites folgt: „Bietet die Webseite die Funktionen, die Benutzer erwarten?“ Und schließlich: „Wie einfach oder schwierig ist es für Benutzer, dieses Ziel zu erreichen?“ Ganz gleich, ob Ihre Webseite nun vorrangig für den Verkauf, für Downloads oder zu reinen Informationszwecken dient, der Weg zum Ziel sollte folgende Eigenschaften haben:
  • übersichtliche Gestaltung
  • logischer Aufbau
  • kurze Ladezeit
  • einfache Navigation
Nehmen wir als Beispiel Such- und Filterfunktionen: Auf einer E-Commerce-Webseite mit Tausenden Produkten sind diese Funktionen absolut sinnvoll. Doch in einer kurzen Liste mit ganzen drei Produkten sind sie überflüssig und stiften nur Verwirrung. Sehr wahrscheinlich ist hingegen, dass Besucher Ihrer Webseite die Beschreibungen und Merkmale dieser drei Produkte miteinander vergleichen wollen. Also sollten Sie sich auf diese Erwartung konzentrieren. Extratipp: Orientieren Sie sich beim Aufbau Ihrer Webseite immer an den Zielen und am zu erwartenden Verhalten der Benutzer. Ein einheitliches Layout der Benutzeroberfläche sorgt dafür, dass Benutzer nicht bei jeder Interaktionsart anders vorgehen müssen.

2. Barrierefreiheit

Weltweit gelten bestimmte Standards zur Barrierefreiheit, was unter anderem dem World Wide Web Consortium (W3C) zu verdanken ist. Die weithin angewandten Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) des W3C fassen bewährte Methoden zur barrierefreien Gestaltung von Webinhalten zusammen. Wer diese Methoden konsequent umsetzt, kann seine Benutzeroberfläche auf Anhieb so gestalten, dass sie für alle Benutzergruppen – unabhängig von Standort oder Fähigkeiten – gleichermaßen leicht bedienbar ist. Übrigens: Barrierefreiheit ist nicht nur für Menschen mit Behinderungen wichtig. Auch mit dem Alter können bestimmte Fähigkeiten wie Sehkraft und Fingerfertigkeit nachlassen. Den Standards WCAG 2.0 und 2.1 zufolge gibt es verschiedene Möglichkeiten, eine Webseite barrierefrei zu konzipieren. Lassen Sie sich dabei von folgenden grundlegenden Fragestellungen leiten:
  • Wurde der Farbkontrast zwischen Text und Hintergrund so gewählt, dass Menschen mit Seheinschränkungen alles gut lesen können?
  • Ist der Text groß genug, damit er auf den bevorzugten Geräten Ihrer Benutzer gut lesbar ist?
  • Haben Sie Alternativtext zur Beschreibung von Abbildungen und Überschriften-Tags (H1, H2 usw.) eingefügt, damit Screenreader den Webseitenaufbau korrekt wiedergeben?
  • Haben Sie für Benutzer, die keine Maus verwenden, Tastenkombinationen integriert?
Hier finden Sie eine Checkliste mit allen anderen wichtigen Gesichtspunkten, die Sie bei der barrierefreien Gestaltung Ihres Contents beachten sollten. Extratipp: Wir empfehlen Ihnen, sich auch die W3C-Richtlinien zur Anwendung von WCAG-Standards auf Content für Mobilgeräte anzusehen. Angesichts dessen, dass Mobilgeräte den klassischen Desktop-Computer zusehends überflügeln, sollte Ihre Webseite für Benutzer aller Gerätetypen barrierefrei sein.

3. Verhalten neuer und wiederkehrender Besucher

Ungeachtet des Standorts, von dem aus der Zugriff erfolgt, lassen sich zwei Gruppen von Webseitenbesuchern mit jeweils ganz unterschiedlichem Benutzerverhalten unterscheiden: neue und wiederkehrende Besucher. Letztere verbringen meist mehr Zeit auf der Webseite und sehen sich mehr Unterseiten an. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie etwas kaufen, ist bei ihnen höher als bei neuen Besuchern. Schließlich bleibt es bei 70 % bis 96 % aller „Neuankömmlinge“ bei diesem einen Besuch. Vor diesem Hintergrund sollten Sie sich genau überlegen, wie Sie das Benutzererlebnis für diese beiden Gruppen optimal gestalten können. Eine Möglichkeit wäre etwa, Neubesucher über eine Schaltfläche mit der Aufschrift „Hier starten“ auf eine spezielle Landing Page weiterzuleiten. Wiederkehrende Besucher bevorzugen Links für den Schnellzugriff auf zuvor aufgerufene Seiten. Für neue Besucher könnten Sie (bitte sparsam) Pop-up-Fenster einsetzen, die sie zum Kauf oder zum Abschluss eines anderen Handlungsziels einladen; wiederkehrende Besucher würden solche Pop-ups wohl eher als lästig empfinden. Extratipp: Behalten Sie bei der Optimierung nicht nur die oben beschriebenen typischen Verhaltensweisen im Auge, sondern nehmen Sie auch Ihre eigenen Daten unter die Lupe. Wenn Sie beispielsweise feststellen, dass neue Besucher auf Ihrer Webseite mehr Zeit verbringen als wiederkehrende, könnte dies daran liegen, dass bestimmte Informationen schwer auffindbar sind.

Lokalisierungsvoraussetzungen erfüllt – oder doch nicht?

Die Entwicklung und Verwaltung lokalisierter Inhalte für mehrere Zielmärkte ist in der Tat kostspielig, und höchstwahrscheinlich nicht für jeden Markt erforderlich. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Sie über die besonderen Erfordernisse dieser Märkte einfach so hinweggehen können. Als Minimalvoraussetzung sollten Sie Ihre Webseite für alle Benutzergruppen so gestalten, dass sie einfach zu bedienen ist und ein gutes Benutzererlebnis bietet. Mitunter reicht dies schon als Lokalisierungsgrundlage aus. Es kann aber durchaus sein, dass eine global einheitliche Webseite aufgrund feiner kultureller Unterschiede im erwarteten Benutzererlebnis einen Teil der Besucher abschreckt. Erst wenn die Webseite kulturübergreifend die gewünschte Wirkung erzielt, sollten Sie zu Analysen oder Benutzertests übergehen, um zu ermitteln, welche Bereiche lokalisiert werden müssen.
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Lee Densmer

Lee Densmer ist seit 2001 in der Lokalisierungsbranche tätig. Sie begann als Projektmanagerin und wechselte dann zu Lösungsarchitektur und Marketing-Management. Wie viele Lokalisierungsexperten kam auch sie durch ihr Sprachinteresse und ihre linguistische Ausbildung zu diesem Bereich. Sie hat einen Master-Abschluss in Linguistik von der University of Colorado. Lee Densmer lebt in Idaho und unternimmt gern Auslandsreisen und Ausflüge in die umliegenden Berge.
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