Immer mehr Unternehmen erkennen, dass Lokalisierung eine wesentliche Rolle spielt, wenn sie Kunden in aller Welt erreichen möchten. Dementsprechend hat die Nachfrage nach Übersetzungen drastisch zugenommen.
Mit der Nachfrage wächst auch die Lokalisierungsbranche. Um konkurrenzfähig zu bleiben, erwarten Unternehmen, dass für ein globales Publikum aufbereiteter Content immer schneller und in immer größeren Volumina produziert wird. Doch herkömmliche Übersetzungsprozesse können mit diesen Erwartungen oft nicht mithalten. Daher hat in der Branche zu neuen Übersetzungsansätzen geführt, die flexibler sind als der Einsatz von Single Language Vendoren (SLV), die nur auf eine einzelne Sprachrichtung spezialisiert sind.
Die entsprechenden Schlagwörter sind Ihnen vielleicht schon einmal begegnet: Crowds, Communitys, kuratierte Communitys. Sie auseinanderzuhalten, ist nicht immer einfach. Was also steckt wirklich hinter diesen neuen Ansätzen? Wie funktionieren sie? Sind sie für Ihr Unternehmen besser geeignet als traditionelle Übersetzungen durch speziell ausgebildete In-Country-Linguisten, wie sie von professionellen LSPs bereitgestellt werden?
Marina Pantcheva, Group Project Manager bei RWS Moravia, hat für diesen Blogbeitrag Licht ins Dunkel der Begrifflichkeiten gebracht.
Gleich zu Beginn sei angemerkt: Das englische „crowd“ – zu Deutsch „Menschenmenge“ – ist eine Sammelbezeichnung für mehrere verschiedene Methoden des Übersetzungsmanagements. Ein Vergleich dieser Methoden folgt später. Davor wollen wir das Grundkonzept der Crowdsourcing-basierten Übersetzung seinem herkömmlichen Pendant gegenüberstellen.
Worin unterscheiden sich die Crowdsourcing-basierte und die herkömmliche SLV-basierte Übersetzung?
Crowdsourcing-basiert |
SLV-basiert |
Spontane, autonome Zusammenarbeit |
Spezialisierte, langfristige Zusammenarbeit |
Dutzende oder Hunderte Einzelübersetzer pro Sprache |
Ein oder zwei Anbieter pro Sprache |
Flexible, schwankende Kapazitäten |
Fest zugesagte Kapazitäten |
Verfügbarkeit rund um die Uhr |
Spezialisierte Verfügbarkeit im Zielland |
Transparente Einblicke in die Arbeit der Ressourcen |
Begrenzte Einblicke in die vom Lieferanten selbst organisierte Arbeit |
An dieser Stelle lässt sich schon erahnen, wie sehr sich die beiden Modelle unterscheiden, doch sehen wir genauer hin.
Die Übersetzung auf Crowdsourcing-Basis ermöglicht das Aufteilen großer Übersetzungsprojekte in kleinere „Häppchen“, die dann direkt an eine große globale Community freiberuflicher Übersetzer verteilt werden, welche gleichzeitig arbeiten. Diese Übersetzer können, müssen aber nicht unbedingt professionelle Linguisten sein – vorausgesetzt wird jedoch, dass sie die Ausgangs- und Zielsprache(n) gut beherrschen.
Beim klassischen SLV-Modell werden dagegen spezialisierte Services in Auftrag gegeben, entweder bei professionellen Übersetzungsagenturen oder bei Anbietern, die mit ihren eigenen, in bestimmten Sprachkombinationen erprobten In-Country-Ressourcen zusammenarbeiten. Auch SLV-Anbieter können Projekte aufteilen, wenn der Übersetzungsumfang dies erfordert, doch nutzen sie für das Projektmanagement und die Personalbeschaffung ihre hauseigenen Strukturen.
Damit sind die Unterschiede zwischen beiden Modellen freilich noch längst nicht erschöpft:
Crowdsourcing-basierte Übersetzungen beruhen auf ungebundener Auftragsvergabe und -annahme
Die
Zusammenarbeit beim Crowdsourcing-Modell hängt davon ab, dass die zu bearbeitenden Aufgabenblöcke von Übersetzern übernommen werden. Dabei steht es den Übersetzern frei, ob und wann sie die Aufgaben annehmen. Anders beim SLV-Modell: Hier bestehen in der Regel vertragliche Absprachen, die einen gewissen Durchsatz pro Zeiteinheit garantieren. SLVs sind daher meist langfristige Partner, die Ihre Marke und Ihre Lokalisierungsprojekte in- und auswendig kennen.
Beim Crowdsourcing stehen pro Sprache Hunderte Ressourcen bereit
Die
Anzahl der Anbieter, mit denen man zusammenarbeitet, verhält sich beim SLV-Modell naturgemäß meist proportional zur Anzahl der Sprachen im Lokalisierungsprojekt: In der Regel stehen für jede Sprache nur wenige Ressourcen zur Verfügung. Mitunter kann eine Agentur allein jedoch nicht den gesamten Projektumfang abdecken. Beim Crowdsourcing hat der Kunde dagegen die Auswahl aus einem großen Ressourcenpool für jede Sprache, sodass er seine Aufträge mit größerer Wahrscheinlichkeit unterbringen kann. Je nach Sprache stehen Dutzende, Hunderte oder gar Tausende Übersetzer bereit.
Crowdsourcing erlaubt flexible und schwankende Kapazitäten
Die
Kapazität ist beim Crowdsourcing von der Zahl der Übersetzer in der Crowd abhängig. Allerdings kann es aus zwei Gründen große Diskrepanzen zwischen der erwarteten und der tatsächlichen Kapazität geben: Erstens sind die Übersetzer in der Crowd nicht zur Auftragsannahme verpflichtet, zweitens sind in Crowds oft viele Übersetzer angemeldet, die keine aktiven Beiträge leisten. Im Gegensatz dazu bietet ein SLV oder eine Agentur eine vertraglich festgelegte und oft sogar garantierte Kapazität.
Crowdsourcing deckt mehr Zeitzonen und Regionen ab
Das
Maß an Flexibilität ist beim Crowdsourcing-Modell größer. Crowds sind meistens rund um die Uhr aktiv, da sie an allen Wochentagen arbeiten – auch an Wochenenden und Feiertagen – und dank einer großen geographischen Verteilung viele Zeitzonen abdecken. SLVs arbeiten im Regelfall in ihrer eigenen Zeitzone mit Übersetzern, die im Zielland ansässig sind. Feiertage oder andere Besonderheiten in bestimmten Ländern können dabei zu Terminschwierigkeiten führen.
Crowdsourcing bietet herausragende Transparenz und Daten
Transparenz ist beim SLV-Modell nur bedingt gegeben. Sprachdienstleister senden Projekte an externe Partner und haben bis zur Lieferung nur wenig Einblick in den Arbeitsprozess. Beim Crowdsourcing können Projektmanager und Kunden Daten zur Arbeitsweise jedes einzelnen Übersetzers abrufen: durchschnittliche Durchlaufzeit, Qualitätsbewertungen, angenommene Projekttypen und so weiter. Dadurch ergeben sich nahezu unendliche viele Möglichkeiten für ein intelligentes Management dieser Communitys.
In diesem Zusammenhang lassen sich Crowds in drei Managementstufen unterteilen, von völlig autonom arbeitenden bis zu sorgfältig kuratierten Gruppen.
Was ist der Unterschied zwischen Crowds, Communitys und kuratierten Communitys?
Übersetzungs-Crowds sind normalerweise große Netzwerke an Ressourcen mit bestimmten Fähigkeiten. Es handelt sich um Freiberufler, die in entsprechenden Online-Plattformen registriert sind. Crowds sind öffentliche Gruppen, d. h., jeder, der die nötigen Fähigkeiten für die zu erledigenden Aufgaben zu haben glaubt, hat freien Zutritt dazu. Dennoch kann es unter Umständen sein, dass die Mitglieder der Crowd eine Probe abliefern müssen, um ihre Eignung für die Arbeit unter Beweis zu stellen. Crowdsourcing empfiehlt sich vor allem für Aufgaben, für die kein besonderes Wissen oder keine spezielle Ausbildung erforderlich ist, beispielsweise für die Übersetzung von nutzergeneriertem Content.
Übersetzungs-Communitys – nicht zu verwechseln mit freiwilligen Übersetzer-Communitys, die zum Beispiel Wikipedia-Artikel oder TED-Talks kostenlos übersetzen – entstehen durch Auswahl, Qualifikation und Engagement einer Teilgruppe der Crowd. Diese Teilgruppe bildet dann ein Netzwerk an Ressourcen, die einem bestimmten Projekt zugewiesen werden. Die Ressourcen können aus der Crowd stammen und sich zu festen Partnern Ihres Unternehmens entwickeln. Engagement und Kommunikation innerhalb der Gruppe, deren Mitglieder ein Eigeninteresse am Erfolg des Projekts haben, sind folglich ausgeprägter. Hinzu kommt, dass die Ressourcen zuverlässiger getestet und qualifiziert werden können. Communitys bieten sich für die Übersetzung von stärker spezialisiertem Content an, bei der markenspezifische Terminologie und Style Guides beachtet werden müssen.
Kuratierte (verwaltete) Communitys sind hierarchisch strukturierte Communitys. Dazu werden den Community-Mitgliedern verschiedene Rollen (Übersetzer, Editor, Reviewer usw.) und jeder Rolle wiederum unterschiedliche Expertiseniveaus zugewiesen (untergeordneter/leitender Reviewer, Standard-/Premium-Übersetzer usw.). Die Struktur ähnelt den Spezialisierungsstufen bei einem SLV, weshalb kuratierte Communitys komplexe Aufgaben in vergleichbarer Qualität erledigen können wie ein SLV.
Welches Modell ist das beste?
Diese Frage lässt sich nicht ohne Weiteres beantworten, da jedes Modell seine Vor- und Nachteile hat. Je nach Situation kommt eher das eine oder das andere Modell infrage. So bietet etwa die Flexibilität des Crowdsourcing-Modells Vorzüge bei Lokalisierungsprojekten mit großem oder häufig schwankendem Umfang. Dieser Umstand ist heutzutage immer öfter anzutreffen, da Unternehmen zusehends erkennen, wie wichtig die Lokalisierung ihrer Produkte ist, und in der Folge die Content-Mengen zunehmen.
Welcher Ansatz für welche Szenarien am sinnvollsten ist, werden wir in einem kommenden Blogbeitrag näher beleuchten – bleiben Sie also am Ball. In der Zwischenzeit
beraten wir Sie gerne zu Fragen der Personal- und Ressourcenbeschaffung.
Vielen Dank an Marina Pantcheva für ihre wertvollen Beiträge zu diesem Artikel!