Die Zukunft der Übersetzung für Finanzdienstleistungen

Lee Densmer 13. Jan. 2021
Die Zukunft der Übersetzung für Finanzdienstleistungen
Wie in fast jeder Branche hat die Digi­talisierung mittler­weile auch in der Finanz­dienstleistung Ein­zug ge­halten. Laut Deloitte hat für mehr als die Hälfte aller Finanz­dienstleister die Neu­ausrichtung und Digi­talisierung ihrer Kunden­interaktionen höchste strategische Priorität Angesichts des harten Wett­bewerbs durch FinTech-Firmen und Online-Banken setzen Privat­kundenbanken auf neue Technologien, um ihr Wachs­tum an­zukurbeln. Schließlich ist die Konkurrenz den Privat­kundenbanken im Be­reich Kunden­interaktion bereits einige Schritte voraus. Die Anbieter haben begriffen, dass Kunden durch digitale Technologien mehr Kontrolle, mehr Auswahl und einen einfacheren Zugriff auf ihr Geld haben. Im Gegen­zug be­kommen sie einen besseren Zu­gang zu Daten, aus denen sie Rück­schlüsse über das Kunden­verhalten ziehen sowie das Umsatz­wachstum und die Rentabilität prog­nostizieren können. Weltweit agierende Unternehmen in­vestieren hohe Summen in Be­reiche wie künst­liche Intelligenz, Daten­analytik, Block­chain, Prozess­automatisierung und in das Internet der Dinge (IoT), um ihre Sys­teme auf den neuesten Stand zu bringen und zukunfts­fähig zu machen. Not­wendig sind kon­tinuierliche In­vestitionen in neue Tools und Platt­formen sowie eine akkurate Lo­kalisierung von Pro­dukten und Services, um die von Land zu Land unter­schiedlichen Vor­schriften und Regeln einzuhalten. Die Digitalisierung des Kunden­erlebnisses wirkt sich auch auf eine Reihe von Inter­aktionen aus, die Über­setzungen im Finanz­bereich erfordern.

Digitale Dokumente im Finanzsektor

Nur wenige Endkunden wünschen heute noch Dokumente wie Geschäfts­berichte und Pros­pekte in Papier­form. Ab 1. Januar 2021 beispiels­weise wird die US-Börsen­aufsichts­behörde be­stimmten Fonds er­lauben, In­vestoren zur Ein­sicht der Jahres- und Halb­jahres­abschlüsse an eine Web­adresse zu ver­weisen, an­statt ihnen diese voll­ständig in Papier­form zu senden. Digitale Trans­formation be­deutet für viele eine bessere Reaktions­fähigkeit, da In­formationen immer sofort ab­rufbar sind. Die Um­stellung auf Online-Berichte könnte Über­setzern im Finanz­bereich tat­sächlich mehr Flexi­bilität bei der Ver­handlung von Abgabe­fristen ver­schaffen. Da Fonds nun keine Zeit mehr für das Drucken und Ver­senden der Be­richte ein­planen müssen, bleibt Über­setzern mehr Zeit für ihre Arbeit, bevor die Dokumente den An­legern welt­weit zur Ver­fügung ge­stellt werden. Doch in einer derart streng regulierten Um­gebung muss äußerste Sorg­falt bei der Um­setzung der digitalen Trans­formation an­gewandt werden. Über­setzer im Finanz­bereich kennen sich mit den komplexen und viel­fältigen Finanz­regeln der ein­zelnen Länder be­reits sehr gut aus. Doch mit der fort­schreitenden Digitalisierung kommen auf sie neue und interessante Heraus­forderungen zu.

Übersetzung für Chatbots

Chatbots werden in der Kommunikation im Finanz­wesen immer häufiger ein­gesetzt, da sie Trans­aktionen, vom Be­zahlen von Rech­nungen bis hin zum Portfolio-Management, über­nehmen können. Sobald ein Unter­nehmen über die Grenzen seines Heimat­markts hinaus­geht, muss sämt­licher Chatbot-Content auch in den Sprachen der Ziel­märkte vor­handen sein. Doch es kann sich als äußerst schwierig er­weisen, den Machine-Learning-Algorithmus hinter einem Chat­bot mit den richtigen Wörtern, Phrasen und Synonymen zu trainieren. Übersetzer im Finanz­bereich müssen des­halb in vielerlei As­pekten mit Ent­wicklern zusammen­arbeiten. Zum Bei­spiel daran, wie mit­hilfe künst­licher Intelligenz ähnlich for­mulierte Fragen unter­schieden wer­den können und dass die Ant­worten nicht den individuellen Vor­schriften des jeweiligen Landes widersprechen. Diese konversationellen Inter­aktionen stehen auch im Wider­spruch zu der for­mellen Sprache, die in den meisten Finanz­dokumenten ver­wendet wird. Es braucht eine sorg­fältige Balance zwischen einem lockeren Ton­fall und hoch­präzisen Informationen.

Übersetzung für FinTech-Apps

Einige der Probleme von Über­setzungen für Chat­bots treten auch auf, wenn Finanz­dienstleister eine globale App ein­führen. Doch bei reinen Mobil­geräte­plattformen ist die Pro­blematik oft noch komplexer. Sprach­spezifisch ver­schieden lange Zeichen­ketten können die Be­nutzer­oberfläche einer App be­einträchtigen. Die variierenden Skripte stellen Ent­wickler zudem vor typo­grafische Heraus­forderungen. Hinzu kommt, dass die App-Lokalisierung für Apple iOS- und Android-Platt­formen ein ähnliches, aber nicht identisches Key/String-System ver­wenden. Hier ist der „Key“ die An­weisung für die App und der „String“ der Be­gleit­text für die Be­nutzer. Wenn Über­setzer erfolg­reich lokalisieren wollen, müssen sie mit den Ent­wicklern ab­sprechen, welche „Strings“ zu welchem „Key“ gehören – eine Aufgabe, die alleine schon schwierig genug wäre, ohne zu­sätzlich noch auf die termino­logischen und in­haltlichen An­forderungen der Finanz­texte zu achten. Es gibt zwei Ansätze, den Über­setzungs­prozess dieser neuen Formate zu ver­bessern: zum einen, die Soft­ware bereits im Voraus zu inter­nationalisieren und so für die Lo­kalisierung vor­zubereiten, und zum anderen, Lo­kalisierungs­tests und linguistische Tests in den Projekt­entwicklungs­zyklus zu integrieren, damit Über­setzungen im Kontext über­prüft und Funktions­probleme vor der Markt­einführung be­seitigt werden können.

Übersetzung von digitalen Pitch Books

Ein Pitch Book ist ein Vertriebsdokument, mit dem Investment­banken und Börsen­händler neue Kunden um­werben. So ein Dokument, z. B. als PDF, um­fasste bisher nicht selten bis zu 30 Seiten. Doch mit der zu­nehmenden Fokussierung auf ein an­sprechendes Kunden­erlebnis werden aus Pitch Books immer häufiger digitale und inter­aktive Präsentationen, die in Kürze und präzise auf den Punkt kommen. An­gesichts der Integration von Business-Intelligence-Tools wie Microsoft Power BI oder Tableau müssen sich Sprach­dienstleister kontinuierlich auf neue Formate ein­stellen, die über standard­mäßige PowerPoint- oder PDF-Präsentationen hinausgehen. Dies ist nicht unbedingt die Auf­gabe eines Über­setzers. Sie können sich weiter auf den Text kon­zentrieren. In Zukunft wird jedoch bei Über­setzungen im Finanz­bereich eine engere Zu­sammenarbeit zwischen Ent­wicklern, Technischen Mit­arbeitern und Sprach­experten not­wendig sein.

Neuronale MT bei Übersetzungen von Finanztexten

Die neuronale maschinelle Übersetzung (NMT) ist mittler­weile so weit gereift, dass sie bereits Finanz­dokumente für den internen Ge­brauch über­setzen kann. Aller­dings muss die Über­setzung oft noch von einem er­fahrenen Post-Editor nachbearbeitet werden. Interessanterweise ist ein guter Übersetzer von Finanz­texten nicht auto­matisch auch ein guter Post-Editor. Das Post-Editing maschinell über­setzter Texte er­fordert andere Fertig­keiten und spezielles Training. In diesem Bereich gilt es ohnehin, sich kontinuierlich neue Techniken und Kennt­nisse an­zueignen. Angesichts der kom­plexen Zahlen und Terminologie von Finanz­texten ist es un­wahr­scheinlich, dass in naher Zukunft auf Ein­griffe durch den Menschen komplett ver­zichtet werden kann. Dennoch wird es möglich sein, in wesentlich größerem Um­fang korrekte Über­setzungen von Finanz­texten zu er­stellen.

Wie geht es weiter?

Die verschlungenen Regularien des globalen Finanz­wesens werden die digitale Trans­formation in einigen Be­reichen der Branche aus­bremsen. Unter­nehmen, die ihren inter­nationalen Kunden jedoch mehr Kontrolle über ihre Konten und einen ein­facheren Zugriff auf ihre Services ge­währen, sind agiler und können ein besseres Benutzungs­erlebnis bieten. Übersetzer und Sprach­dienstleister im Finanz­sektor sind bereits Experten für den linguistischen Teil dieser Transaktionen. Doch mit der zu­nehmenden Digitalisierung der Kunden­interaktionen in dieser Branche müssen Über­setzer auch die Sprache von App-Entwicklern und Ingenieuren verstehen. Wie auch immer Ihr nächstes Über­setzungsprojekt im Finanz­sektor aussehen mag, sprechen Sie uns an. Gemeinsam finden wir die beste Lösung für Ihre Anforderungen.
Lee Densmer
AUTOR

Lee Densmer

Lee Densmer ist seit 2001 in der Lokalisierungsbranche tätig. Sie begann als Projektmanagerin und wechselte dann zu Lösungsarchitektur und Marketing-Management. Wie viele Lokalisierungsexperten kam auch sie durch ihr Sprachinteresse und ihre linguistische Ausbildung zu diesem Bereich. Sie hat einen Master-Abschluss in Linguistik von der University of Colorado. Lee Densmer lebt in Idaho und unternimmt gern Auslandsreisen und Ausflüge in die umliegenden Berge.
Alle von Lee Densmer