Experteninterview: die Herausforderungen und der Nutzen des Dolmetschens

Lee Densmer 29. Jan. 2021
Experteninterview: die Herausforderungen und der Nutzen des Dolmetschens
Dolmetschen ist eine hoch spe­zialisierte Tätig­keit, bei der es nicht ge­nügt, ein­fach nur zwei Sprachen sehr gut zu be­herrschen und zwischen ihnen zu wechseln. Um einen besseren Ein­blick in den Alltag solcher Ex­perten zu be­kommen, haben wir uns mit Ewa Jasinska-Davidson per Videochat unterhalten Ewa hat Englisch und Spanisch studiert. Darüber hinaus hat sie ein DPSI (Diploma in Public Service Interpreting, Abschluss für Gesprächs- und Behörden­dolmetschen) für das eng­lische und pol­nische Recht sowie einen Master in Konferenz­dolmetschen. Neben ihrer Tätigkeit als Konferenz­dolmetscherin für drei Sprachen unter­richtet sie die nächste Generation von Dol­metschern an der London Metropolitan University. Wir haben uns mit Ewa über ihre Er­fahrungen unter­halten und sie ge­fragt, wie sie die Zukunft dieses Berufes sieht. Bevor Sie Konferenz­dolmetscherin wurden, haben Sie viele Jahre für die Polizei, Gerichte und Anwälte sowie in Kliniken ge­dolmetscht. Warum sind Sie auf das Konferenz­dolmetschen umgestiegen? Mir hat diese Tätigkeit wirklich viel Spaß gemacht. Ich konnte Menschen helfen, sich zu ver­ständigen und dadurch Kommunikations­brücken bauen, be­sonders unter so schwierigen Um­ständen, wie viele sie erlebt haben. Das hat mir sehr ge­fallen. Da war das Konferenz­dolmetschen quasi der nächste logische Schritt. Wie bereiten Sie sich auf eine Konferenz vor? An einem typischen Arbeitstag versuche ich, zunächst die Nach­richten in allen drei Arbeits­sprachen zu ver­folgen. Das ist sehr wichtig beim Konferenz­dolmetschen, da man nie weiß, worüber sich die Teil­nehmer zu Beginn der Konferenz unter­halten werden. Auf die Konferenz selbst muss ich mich bereits im Voraus vor­bereiten. Das dauert manchmal auch länger als einen Tag. Vielleicht eine Woche vor­her oder am vorher­gehenden Wochen­ende schaue ich mir das ge­samte Material an und bereite Glossare vor, damit ich das Vokabular am Einsatz­tag kenne. Wenn man wieder­holt bei der gleichen Konferenz dol­metscht, kennt man die Terminologie und die Branche bereits. Dann geht die Vor­bereitung schneller. Wird man für eine Konferenz im medizinischen oder pharma­zeutischen Bereich be­auftragt, muss man sich sehr sorg­fältig vor­bereiten und diese Vorbereitungs­zeit einplanen. Wie läuft eine typische Konferenz für Sie ab? Man verbringt den gesamten Tag in der Dolmetscher­kabine, ab­wechselnd mit seinem Dolmetsch­partner. Studien haben ge­zeigt, dass die Kon­zentration nach einer gewissen Zeit nach­lässt, deshalb ist es wichtig, sich abzuwechseln. Das bedeutet aber nicht, dass man Pause hat, wenn man gerade nicht dol­metscht. Man muss trotzdem weiter zu­hören und die Konferenz ver­folgen, sich hin und wieder Zahlen oder neue Termini notieren. Wie arrangieren Sie Ihren Termin­plan und Ihre Dienstreisen? Vor der Corona-Pandemie hatte ich immer zwischen Februar und Juni sowie zwischen September und Dezember am meisten zu tun. Und wenn viel zu tun war, dann immer gleich sehr viel. Als frei­berufliche Dol­metscherin ist man für seinen Termin­plan selbst ver­antwortlich und muss realistisch planen. Ich nehme immer nur eine bestimmte Anzahl von Auf­trägen an, bei denen ich per­sönlich an­wesend sein kann und zu denen ich reisen kann. So gern ich auch reise, manchmal ist es wirklich an­strengend, so viel Zeit auf Bahn­höfen oder Flug­häfen zu ver­bringen. Aber ich lerne gern neue Orte kennen. Ich freue mich, wenn ich meinen Aufent­halt ver­längern kann und etwas Zeit für Sight­seeing habe. Letztes Jahr hat mich ein Auftrag zum ersten Mal nach Budapest ge­führt. Ich hatte einen freien Nach­mittag und konnte durch die Stadt bummeln, mir die Sehens­würdigkeiten an­schauen und regionale Spezialitäten kosten. Was gefällt Ihnen am meisten am Konferenzdolmetschen? Das Beste für mich ist wahr­scheinlich, dass jeder Tag anders ist – und ich habe schon vor vielen, vielen Jahren ge­merkt, dass ich genau das möchte. Das trifft sogar zu, wenn man er­neut auf der gleichen Konferenz oder für den­selben Kunden ar­beitet. Man lernt jedes Mal etwas Neues und plötz­lich interessiert man sich für Themen wie Polymere oder Fleisch­hygiene. Das ist faszinierend. Ein weiterer Aspekt ist, dass ich mich mit meinen er­fahrenen Kollegen aus­tauschen kann. Dieser Aus­tausch tut wirklich gut. Ich unter­halte mich gern mit anderen und baue auch eine Be­ziehung zu meinen Kollegen auf. Einige von ihnen sind mittler­weile zu Freunden geworden. Aufgrund der aktuellen Pandemie werden viele Kon­ferenzen virtuell ab­gehalten. Wie wirkt sich das auf Ihre Dolmetsch­tätigkeit aus? So eine Situation gab es noch nie, sie hat vieles ver­ändert. Ich kann mittler­weile auch online für eine Konferenz dol­metschen. AIIC, der inter­nationale Ver­band der Konferenz­dolmetscher, hat die Not­wendigkeit dafür er­kannt und Em­pfehlungen heraus­gegeben, welche Technik dazu ver­wendet werden sollte und wie die Arbeits­bedingungen aussehen. In der Kabine arbeitet man 30 Minuten und tauscht dann mit seinem Partner. Beim Remote-Dolmetschen hin­gegen ist die kognitive Be­lastung noch größer. Des­halb müssen ent­weder die Dolmetscher­teams ver­größert werden oder man muss sich häufiger mit seinem Partner ab­wechseln. Und na­türlich kann man auf­grund der Ab­stands­regel von zwei Metern nicht dicht neben seinem Partner in der Kabine sitzen. Das be­deutet zu­sätzlichen Aufwand, da der Dolmetsch­partner eventuell irgendwo anders sitzt und man sich nur per Chat helfen kann. Ich denke, die aktuelle Krise bietet eine Chance, sich an zu­künftige Ent­wicklungen an­zupassen. Ich glaube aber nicht, dass nach der Krise alle auf Remote-Dolmetschen um­steigen werden, da die Menschen in Be­sprechungen noch immer den per­sönlichen Kon­takt suchen. Aber vielleicht werden einige Unter­nehmen zwischen beiden Formen wechseln und sich einmal im Jahr online und einmal im Jahr persönlich treffen. Worauf müssen sich Dolmetscher Ihrer Meinung nach in Zukunft einstellen? Natürlich ist das Thema künst­liche Intelligenz und KI-Dolmetschen in aller Munde. Ich per­sönlich denke, dass KI den Dolmetschern die Arbeit er­leichtern kann. Die Technologie wird Dol­metscher nicht er­setzen, aber Dolmetscher, die die Technologie an­nehmen und für sich nutzen, könnten andere Dol­metscher verdrängen. Ich denke, es ist wichtig, dass wir nicht nur hin­sichtlich der aktuellen Ge­schehnisse in unseren Sprachen auf dem neuesten Stand bleiben, sondern auch im Hinblick auf techno­logische Neuerungen. Planen Sie eine Konferenz oder Ähnliches in Ihrem Unter­nehmen? Egal, ob online oder als Präsenz­veranstaltung, wir können Ihnen die passende Dolmetschlösung für Ihre An­forderungen bereitstellen.
Lee Densmer
AUTOR

Lee Densmer

Lee Densmer ist seit 2001 in der Lokalisierungsbranche tätig. Sie begann als Projektmanagerin und wechselte dann zu Lösungsarchitektur und Marketing-Management. Wie viele Lokalisierungsexperten kam auch sie durch ihr Sprachinteresse und ihre linguistische Ausbildung zu diesem Bereich. Sie hat einen Master-Abschluss in Linguistik von der University of Colorado. Lee Densmer lebt in Idaho und unternimmt gern Auslandsreisen und Ausflüge in die umliegenden Berge.
Alle von Lee Densmer