Sieben Hinweise zu Lokalisierungen für den chinesischen Markt

Lee Densmer 14. Dez. 2020
Sieben Hinweise zu Lokalisierungen für den chinesischen Markt
China ist ein enorm großer Markt mit einem eben­so großen Potenzial für Unter­nehmen mit globalen Wachstums­absichten. Die Wirtschafts­leistung Chinas wird nur noch von jener der USA über­troffen. Anhand des Brutto­inlands­produkts be­trachtet, handelt es sich sogar um die am schnellsten wachsende Volks­wirtschaft. Zudem ist China das be­völkerungs­reichste Land der Erde: Etwa 1,2 Milliarden Menschen sprechen Chinesisch – und 750 Millionen davon nutzen das Web. Bevor Sie an­fangen, für den chinesischen Markt zu lokalisieren, sollten Sie jedoch einiges wissen.

1. Berücksichtigen, dass es sieben Sprachvarianten des Chinesischen gibt

Linguistisch gesehen ist die chinesische Sprache hoch­komplex und von be­eindruckender Viel­falt. Das, was die west­liche Welt ver­allgemeinernd als Chinesisch be­zeichnet, hat sieben klar ab­gegrenzte Varianten, die sich je­weils in mehrere regionale Unter­gruppen ver­zweigen. Von diesen Varianten um­fasst Mandarin die weit­aus größte Sprecher­gruppe, nämlich etwa 917 Millionen Menschen. Neben Mandarin gibt es noch die Varianten Yue (ein­schließlich des kanto­nesischen Dialekts), Min, Wu, Xiang, Gan und Hakka. Sie alle sind hoch­gradig eigen­ständig – mitunter ver­stehen sich die Dialekt­sprecher gegen­seitig nicht. Zusätzlich zu den ge­sprochenen Dia­lekten ver­komplizieren die beiden stark unter­schiedlichen Schrift­systeme des Chinesischen die Sache noch. Je nach Region kommt ein an­deres Schrift­system zum Einsatz. So sprechen Taiwaner im All­gemeinen eine eigene Version des Mandarin-Chinesischen, sie schreiben aber größten­teils in traditionellen Schrift­zeichen. In China ist das anders: Mandarin ist die offi­zielle Amts­sprache und das ver­einfachte Chinesisch das offizielle Schrift­system. In Hongkong wiederum sprechen die meisten Kanto­nesisch, schreiben de facto aber traditionelles Chinesisch. Mit dieser großen Viel­falt an ge­sprochenen Dialekten geht ein Wirrwarr an Unter­schieden im Wort­schatz sowie in der Aus­sprache und sogar Grammatik einher. Dem­entsprechend müssen Lokalisierungs­initiativen die Eigen­heiten des je­weiligen Ziel­markts be­rücksichtigen, damit die Ver­braucher das Ge­fühl haben, maß­geschneiderten Content zu er­halten. Wenn Sie nicht für alle sieben Sprach­varianten ein Budget ver­einbaren können, kon­zentrieren Sie sich zunächst auf ver­einfachtes Chinesisch und Mandarin.

2. Die Kultur kennen

Die chinesischen Dia­lekte sind jedoch nicht die einzigen Heraus­forderungen beim Mar­keting für diesen Ziel­markt. Ebenso wie die sprach­liche Situation ist auch die Kultur Chinas – im Geschäfts­leben und darüber hinaus – speziell. Auch hier gilt wie für den Rest der Welt: Marketing-Kampagnen müssen in sprach­licher und kultureller Hin­sicht die lokalen Ein­stellungen und Reibungs­punkte be­rücksichtigen. Ein Beispiel ist das Branding, das in China aus mehreren Gründen extrem wichtig ist. Einige bekannte Marken sind in China so beliebt, dass Menschen gern teil­weise stunden­lang Schlange stehen, um ihre Must-haves zu kaufen. Zudem sind sie bereit, für diese Top­marken mehr zu bezahlen. Während in weiten Teilen der west­lichen Welt die Schnäppchen­jagd selbst­verständlich ist, orientieren sich chinesische Ver­braucher eher am Image einer Marke, auch wenn sie dafür mehr be­zahlen. Denken Sie daran, dass die Mittel­schicht Chinas nicht nur wächst, sondern auch am ehesten digital ein­kauft. Wenn Sie also auf diese demo­grafische Gruppe abzielen, be­nötigen Sie eine umfang­reiche digitale Präsenz.

3. Mikrolokalisierung als Option

Wenn Sie Ihre Marke auf den chinesischen Markt ausrichten, sollten Sie China eher als Kontinent denn als Land be­trachten. Das heißt, was in der einen Region be­kannt und/oder nach­vollziehbar ist, muss es in den anderen längst nicht sein. Abgesehen von dem offen­sichtlichen Nutzen hoch­wertiger Über­setzungen, die für Ihre Ziel­regionen oder -städte lokalisiert sind, sollten Sie auch er­mitteln, welche Marken­namen und Slogans auf die Ziel­gruppe ansprechend wirken. Ihr Marketingmaterial muss un­bedingt Elemente enthalten, auf die der Ziel­markt anspricht. Das können sprach­liche Elemente sein, wie regionale umgangs­sprachliche Aus­drücke, aber auch kulturelle, wie die Er­wähnung lokaler Wahr­zeichen oder Phänomene. Sogar Fotos von Ein­heimischen und regional­typischen Lokalitäten sind möglich. Es gibt aber auch einen gegen­sätzlichen Trend: Ein gewisser Anteil chinesischer Ver­braucher, besonders die wohl­habenderen, ver­langt speziell nach aus­ländischen Produkten. Sie be­fürchten, un­wissentlich ge­fälschte Pro­dukte aus China zu er­werben. Unter bestimmten Um­ständen ge­reicht es Unter­nehmen daher zum Vorteil, ihre aus­ländische Identität heraus­zustellen, anstatt sie abzulegen. Kurzum, Sie müssen die richtige Mischung aus Marken­identität und lokaler Attrak­tivität finden und Ihr Branding dem­entsprechend anpassen.

4. Juristische Faktoren nicht vergessen

Bei der Lokalisierung für den chinesischen Markt sind einige ge­setzliche An­forderungen zu be­achten. So gibt die Volks­republik China seit langer Zeit vor, dass Mandarin die offizielle Amts­sprache ist und ver­einfachtes Chinesisch die ge­forderte Schriftform. Dem­entsprechend muss sämtliches Marketing­material für Fest­land­china diese Vor­schrift einhalten. Darüber hinaus müssen alle Marken­namen oder Slogans, die Sie in Be­tracht ziehen, auf Marken­rechts- oder Gebiets­verletzungen in den relevanten Dia­lekten geprüft werden.

5. Effektive Marktforschung betreiben

Wer in China Fuß fassen möchte, muss sich zuvor mit den Spiel­regeln dieses Marktes ver­traut machen und danach un­voreingenommen und an­passungs­fähig sein. Dies gilt für alles, was oben schon erwähnt wurde: die Eigen­heiten der Dialekte, in die Sie lokalisieren, Vor­lieben und em­pfindliche Punkte der Ver­braucher, po­tenzielle juristische Fall­stricke und kulturelle Überlegungen. Unternehmen sollten keines­falls auf gut Glück agieren, sondern ihre Ziel­märkte gründ­lich erkunden. Nutzen Sie Fall­studien und sogar Fokus­gruppen, um zu er­gründen, was den Erfolg des je­weiligen Produkts oder Service unter­stützen würde. Auch der Kontakt zur breiten Be­völkerung hilft: Manche Unter­nehmen be­fragen Bürger auf der Straße oder ver­teilen Proben, um die Re­aktion der Ziel­gruppe zu testen, bevor sie ent­scheiden, welche Produkte oder Services im jeweiligen Markt ein­geführt werden. Strategische Ent­scheidungen wirken sich in China ebenso stark aus wie anderswo, doch worauf sie ab­zielen und wie Sie damit den Erfolg ins Visier nehmen, dass können Sie nur anhand von relevanten und spezifischen Daten festlegen.

6. Lokale Technologien nutzen

Sich auf relevante linguistische Fragen und das Benutzungs­erlebnis für chinesisch­sprachige Ver­braucher zu kon­zentrieren, ist von wesent­licher, aber nicht alleiniger Be­deutung. Berücksichtigen Sie auch, dass Sie lokale Web­portale und Social-Media-Platt­formen er­mitteln und für sich nutzen müssen – mit optimal an­gepasstem Content. Betrachten Sie Ihre digitale Präsenz als Herz­stück Ihrer Markt­einführungs­strategie für China und chinesisch­sprachige Zielgruppen. Beispiels­weise müssen Sie also Ihren Content für die mit 70 % Marktanteil wichtigste Such­maschine Chinas – Baidu – und ihre schärfste Konkurrenz Sogou opti­mieren. Sie müssen wissen, dass viele der in west­lichen Ländern gängigen Such­maschinen in China nicht nur unbeliebt sind – sie sind sogar offiziell verboten. In diesem Sinne sollten auch nicht west­liche Social-Media-Plattformen, son­dern chinesische im Zentrum Ihrer Auf­merksamkeit stehen. Zu nennen sind hier Qzone, Renren und P1. Ebenfalls empfehlens­wert ist die Präsenz in Verbraucher­foren, die im Gegen­satz zum Westen in China immer noch recht populär sind. Unter ihnen stechen Tieba von Baidu sowie Sohu, Sina und 163 hervor. Der Er­folg Ihres Ein­stiegs in chinesisch­sprachige Märkte steht und fällt mit der Ent­scheidung, wo Sie neben Ihren stationären Geschäften auch online präsent sein sollen.

7. Aus früheren Erfolgen und Fehlern lernen

Es kann auch hilfreich sein, heraus­zufinden, was andere aus­ländische Unter­nehmen beim Ein­stieg in chinesisch­sprachige Märkte gut ge­meistert haben oder was ihren Er­folg ver­hindert hat. Dunkin‘ Donuts‘ erster Versuch in China im Jahr 1994 fand kein Echo – trotz einer Ein­führungs­kampagne, die unter anderem die kosten­lose Ver­teilung von Donuts an Passanten um­fasste. Als Dunkin‘ Donuts weniger Zucker ver­wendete und auf vor Ort be­liebte Ge­schmacks­richtungen wie Melone oder Mochi setzte, stellten sich erste Erfolge ein. Doch erst mit der Über­arbeitung des ge­samten Konzepts fasste das Unter­nehmen richtig Fuß. Schließlich er­kannte das Unter­nehmen, dass die ge­nerische Fast-Food-Anmutung seiner Filialen den Er­folg hemmte. Gestaltet im Café-Stil boten sie größeres Umsatz­potenzial. Das liegt wahr­scheinlich daran, dass chinesische Kon­sumenten in ihrer Tee­trinker­kultur den Kaffee­genuss als welt­gewandte und ge­hobene Wahl betrachten. Darauf kam das Unter­nehmen aller­dings erst nach ganzen elf Jahren! Ein weiteres Beispiel ist IKEA. Nach der Markt­einführung in Shanghai im Jahr 1998 zeigte sich, dass es sich die chinesischen Kunden gern in den Wohn­land­schaften der Filialen bequem machten und dort sogar Nickerchen machten. Zunächst reagierte das Unter­nehmen restriktiv: Es ließ die Mit­arbeiter regel­mäßig herumgehen und die Sitzenden bzw. Liegenden zum Weiter­gehen bitten. Irgend­wann jedoch er­kannte das Unter­nehmen, dass dieses Verhalten typisch ist für chinesische Ver­braucher. Sie be­trachten das Shoppen nicht nur als ziel­gerichtete Tätig­keit, sondern als Form der Freizeit­gestaltung. IKEA ging auf dieses Phänomen ein. Das Unter­nehmen arrangierte sogar Wohn­landschaften zur Aus­stellung in Flughäfen und Einkaufs­zentren und lud Passanten ein, sie nach Gutdünken zu nutzen. Nun ist der Anfang in einem neuen Markt bekannter­maßen immer eine Heraus­forderung. Doch die Lokalisierung für eine Geschäfts­welt, die sich durch enorme sprach­liche Viel­falt, sehr spezielles Ver­braucher­verhalten sowie einzig­artige gesellschaft­liche und politische Hinter­gründe aus­zeichnet, ist eine Mammutaufgabe. Ist Ihr Unternehmen dabei, in chinesisch­sprachige Märkte zu ex­pandieren? Setzen Sie sich mit uns in Verbindung, um eine Lokalisierungs­strategie zu besprechen.
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Lee Densmer

Lee Densmer ist seit 2001 in der Lokalisierungsbranche tätig. Sie begann als Projektmanagerin und wechselte dann zu Lösungsarchitektur und Marketing-Management. Wie viele Lokalisierungsexperten kam auch sie durch ihr Sprachinteresse und ihre linguistische Ausbildung zu diesem Bereich. Sie hat einen Master-Abschluss in Linguistik von der University of Colorado. Lee Densmer lebt in Idaho und unternimmt gern Auslandsreisen und Ausflüge in die umliegenden Berge.
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