Was Sie über maschinelle Übersetzung für Gebärdensprache wissen sollten

Lee Densmer 27. Mai 2020
Was Sie über maschinelle Übersetzung für Gebärdensprache wissen sollten
Die meisten von uns haben wahr­scheinlich noch nie von maschineller Über­setzung (Machine Translation, MT) für Gebärden­sprache gehört. Tatsächlich handelt es sich dabei aber um eine spannende technische Ent­wicklung, die Gehör­losen und Schwer­hörigen die Kommunikation mit Menschen ohne Hör­verlust er­leichtert, denn Letztere be­herrschen zumeist keine Gebärdensprache. MT-Systeme für Gebärden­sprache können Ge­bärden auto­matisch in ge­schriebene oder ge­sprochene Sprache und diese wiederum in Ge­bärden über­setzen, ohne dass dazu ein menschlicher Dolmetscher benötigt wird. Entsprechende Technologien gibt es seit den 1970er-Jahren, doch erwies sich deren Optimierung für die Ent­wickler als schwierig, da sich Gebärden­sprachen im Auf­bau stark von ge­sprochenen Sprachen unterscheiden. In diesem Artikel möchten wir Ihnen einige ältere sowie neuere MT-Entwicklungen präsentieren.

Der Gebärdenhandschuh

Die Geschichte des „sprechenden Handschuhs“

1988 erfanden zwei Forscher an der Stanford University in Kalifornien, James Kramer und Larry Leifer, den ersten „sprechenden Handschuh“, um die Ver­ständigung zwischen Gehör­losen und Hörenden zu er­leichtern. Der Hand­schuh über­setzt die Ge­bärden einer Person sofort in ge­schriebene oder ge­sprochene Sprache. 2001 schuf ein Highschool-Schüler namens Ryan Patterson einen Ge­bärden­handschuh der nächsten Generation mit Sensoren an jedem Finger. Die Ge­bärden des Handschuh­trägers werden dadurch direkt in Bildschirm­text übertragen. Perfekt war die Er­findung nicht: Der Hand­schuh konnte nur einzelne Buch­staben aus dem amerikanischen Finger­alphabet wiedergeben. Dennoch fand er einige Beachtung und wurde viel gelobt. Ähnliche Arten von Handschuhen wurden überall auf der Welt ent­wickelt, aber keiner davon konnte präzise genug über­setzen und schaffte den Sprung auf den kommerziellen Markt. 2016 entwickelten die beiden Studenten Thomas Pryor und Navid Azodi einen besonders ergonomischen Handschuh, der Gebärden in ge­schriebene oder ge­sprochene Sprache übersetzt und mit­hilfe von Bluetooth überträgt. Das Er­gebnis kann dann über einen Laut­sprecher laut aus­gegeben werden. Dieser sogenannte SignAloud Glove rief in den USA landesweit großes Interesse hervor

Die Kontroverse um Gebärdenhandschuhe

Trotz dieser technischen Fortschritte kamen alle bislang ent­wickelten Gebärden­handschuhe weder in der Gehörlosen-Community noch in der Sprach­wissenschaft gut an. Viele Erfinder befragten gar keine Gehör­losen zu ihren Be­dürfnissen, sondern schufen ein Produkt, das eher auf die Präferenzen der Hörenden aus­gerichtet ist. Gehörlose sollen den Hand­schuh nutzen, damit Menschen ohne Hör­verlust sie leichter ver­stehen können. Diese Art der Kommunikation funktioniert aber nur in eine Richtung, denn der Handschuh über­setzt das, was die hörende Person sagt, nicht in Gebärdensprache. Entwickler und Techniker müssen daher künftig mit der Gehörlosen-Community zusammen­arbeiten, damit sie deren An­forderungen und Wünsche bezüglich maschineller Über­setzung ein­beziehen können. Schließlich sollten diese Technologien gehör­losen An­wendern ebenso viele Vorteile bringen wie hörenden Anwendern.

Weitere Technologien

Zum Glück gibt es im Bereich der maschinellen Übersetzung für Gebärden­sprache einige spannende Neu­entwicklungen. Innovative Unter­nehmen arbeiten an Produkten, die gehör­losen Anwendern gleicher­maßen zugutekommen wie hörenden. Hier zwei Unternehmen mit be­merkens­werten Produkten, die weltweit positiv auf­genommen wurden:

SignAll

SignAll 1.0 ist das weltweit erste Produkt, das eine Echtzeit-Kommunikation zwischen gehörlosen Gebärden­sprach­anwendern und hörenden Sprechern er­möglicht, und zwar mittels einer auto­matisierten Technologie für die amerikanische Gebärden­sprache (American Sign Language, ASL). Die Kommunikation läuft über einen Chat­bildschirm, der sowohl ASL als auch gesprochenes Englisch versteht, sodass der ge­hör­lose und der hörende Anwender jeweils ihre eigene Sprache ver­wenden können. Und so funktioniert das leistungs­starke System: Es gibt zwei Monitore, einen für den Gehörlosen und einen für den Hörenden. Der ge­hörlose Anwender muss ein Paar Hand­schuhe tragen und vor Kameras Gebärden­sprache ver­wenden. Die Gebärden werden dann in Text übersetzt, der vom hörenden Anwender gelesen werden kann. Dessen Antwort wiederum wird mithilfe eines auto­matischen Sprach­erkennungs­systems in Schrift­sprache übertragen, die der Gehörlose lesen kann. Das SignAll-System ist für den Einsatz im Geschäfts­alltag und im Bildungs­wesen vorgesehen. Es beseitigt somit Barrieren für gehör­lose Mit­arbeiter am Arbeits­platz und ermöglicht Unternehmen einen besseren Service für gehör­lose Kunden. Außerdem kann es die Kommunikation unter Freunden oder in der Familie erleichtern.

KinTrans

KinTrans ist ein Start-up-Unternehmen mit Sitz in Dallas (Texas, USA) und entwickelt derzeit MT-Software, die Gebärdensprache in gesprochene Sprache übersetzen kann. Die hochmoderne Technologie besteht aus einer 3D-Videokamera mit Bewegungs­erkennung, die die Gesten und die Körper­sprache eines Gebärden­sprach­anwenders verfolgt. Anschließend werden die Gebärden über­setzt und sowohl laut als auch in Form von Bildschirmtext ausgegeben. Eine reale Anwendung könnte in etwa so aussehen: Eine gehör­lose Person betritt ein Geschäft, stellt sich vor das Gerät und kommuniziert in Gebärden­sprache. Das Gerät übersetzt das Gesagte und die hörende Person kann eine Antwort eingeben, die von einem animierten Avatar auf dem Bild­schirm in Gebärden­sprache wieder­gegeben wird. Der große Vorteil dieser Technologie ist, dass sie sowohl für die Community der Gehörlosen als auch für Menschen ohne Hörverlust nützlich ist. Die KinTrans-Technologie ist für den Einsatz in Einkaufs­zentren, Flughäfen, Hotels und Kranken­häusern konzipiert. Aktuell wird sie im Service­bereich von Behörden sowie in einer Bank in Dubai getestet. Das System kann Tausende Zeichen in amerikanischer und arabischer Gebärden­sprache mit einer Genauigkeit von 98 % erkennen. Künftig sollen auch die portugiesische und die indisch-pakistanische Gebärdensprache unterstützt werden. Die maschinelle Übersetzung für Gebärden­sprache hat seit ihren Anfängen in den 70er-Jahren große Fort­schritte gemacht. Glücklicher­weise sind die Entwickler neuerer Technologien neben den Bedürfnissen hörender Anwender auch stärker auf jene gehör­loser Anwender eingegangen. Mit zunehmendem technischen Fortschritt wird auch ver­mehrt künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen, um den Aus­tausch zwischen Gehör­losen und Menschen ohne Gebärden­sprach­kenntnisse zu er­möglichen und zu erleichtern. Bessere Technologie wird bei Gehör­losen auf größere Akzeptanz stoßen und sobald die Systeme präzise und kon­sistente Über­setzungen liefern, schafft dies das nötige Vertrauen bei den Anwendern. Damit ent­fallen Barrieren für die selbst­ständige Alltags­gestaltung und die einfache Kommunikation mit anderen Menschen. Darüber hinaus kann diese Art der Technologie völlig neue Mög­lichkeiten für Unternehmen schaffen, mit gehör­losen Kunden in Ver­bindung zu treten und deren Kunden­erlebnis verbessern. Wir beschäftigen uns mit Kommunikation in all ihren Formen. Sprechen Sie uns an, wir finden die Lösung für ihre Anforderungen.
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Lee Densmer

Lee Densmer ist seit 2001 in der Lokalisierungsbranche tätig. Sie begann als Projektmanagerin und wechselte dann zu Lösungsarchitektur und Marketing-Management. Wie viele Lokalisierungsexperten kam auch sie durch ihr Sprachinteresse und ihre linguistische Ausbildung zu diesem Bereich. Sie hat einen Master-Abschluss in Linguistik von der University of Colorado. Lee Densmer lebt in Idaho und unternimmt gern Auslandsreisen und Ausflüge in die umliegenden Berge.
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