Maschinelle Übersetzung und die Skala des emotionalen Gehalts

Lee Densmer 14. Sept. 2020
Maschinelle Übersetzung und die Skala des emotionalen Gehalts
Jeder dürfte bereits von maschineller Über­setzung (MT) und ihren Zeit- und Kosten­vorteilen ge­hört ha­ben. Ein wichtiger Ein­wand lautet je­doch: MT ist nicht für alle Content-Typen ge­eignet. Gilt dies auch für Ihre In­halte? Tatsächlich lässt sich diese Frage recht ein­fach be­antworten. In diesem Bei­trag möchten wir kurz und bündig die Me­thode er­läutern, mit der wir er­mitteln, ob Content unserer Kun­den für die MT ge­eignet sind oder nicht: Wir nen­nen sie Skala des emotionalen Ge­halts.

Die Skala des emotionalen Gehalts

Wenn Sie heraus­finden möchten, ob sich Ihr Content für die Über­setzung eignet, soll­ten Sie zu­nächst den Zweck des Con­tents analysieren – ge­nauer ge­sagt dessen „emotionalen Ge­halt“. Damit ist ge­meint: Soll der Content bei der Leser­schaft eine emotionale Wir­kung er­zielen und wenn ja, welche? Je sach­licher und emotional neu­traler Ihr Content ist – das heißt je mehr er auf In­formation und Bil­dung aus­gerichtet ist, ohne die Ziel­gruppe zum Han­deln zu animieren –, desto eher kommt für die Über­setzung eine MT-Lösung in­frage. Der Grund dafür ist, dass die Techno­logie noch nicht so fort­geschritten ist, um menschliche Emotionen zu­verlässig inter­pretieren und ver­mitteln zu können. Davon ab­gesehen ist es ris­kant, die Über­setzung grammatischer und syn­taktischer Struk­turen ein­zig und allein einer Maschine zu über­lassen. Je ein­nehmender oder nuancierter Ihr Con­tent also sein soll, desto sinn­voller ist es, ihn von Menschen über­setzen zu lassen. Zur Ver­deutlichung hier eine Über­sicht, welche „emotionalen Kategorien“ es gibt:
Zweck des Contents Definition Beispiele für Content-Typen
Kern­aussage

Die ersten beiden Content-Typen haben keiner­lei emotionalen Ge­halt. Sie dienen viel­mehr dazu, Leser schnell mit Informationen zu ver­sorgen. Oft sind sie nutzer­generiert oder treten in Echtzeit-Um­gebungen auf.

Social-Media-Beiträge/-Kommentare, Kommentare in Blogs/Foren, Live­chats/Instant-Messaging-Nach­richten, Nutzer­bewertungen

In­for­mieren

Produkt­beschreibungen, Wissens­datenbanken, FAQs, Meldungen/Be­nach­richtigungen

In­stru­ieren

Der Content soll Sach­verhalte er­läutern oder Handlungs­anweisungen ver­mitteln und be­dient sich dazu einer nüchternen, sach­lichen Sprache.

Anwender­support, Bedienungs­anleitungen, Personal­richtlinien und -verfahren, allgemeine interne Mit­teilungen und Unter­nehmens-E-Mails

Inter­agieren

Der Inhalt um­fasst Be­nutzer­oberflächen­elemente, die Nutzern ein be­stimmtes Er­lebnis ver­mitteln oder durch einen Pro­zess führen sollen, etwa beim Hin­zufügen eines Pro­dukts zum Warenkorb.

E-Commerce-Web­sites, Be­nutzer­oberflächen von Soft­ware oder Apps, Um­fragen, Be­urteilungen, Quizze, Self-Service-Content

In­spi­rieren

Marketing-, Werbe-, Vertriebs- oder sonstige an die Öffent­lichkeit ge­richteter Con­tent, der recht­liche, finanzielle oder marken­spezifische Kon­sequenzen hat und be­stimmte Ziel­gruppen direkt an­sprechen soll. Content dieser Art ist stark ziel­gruppen­spezifisch und setzt des­halb hohe Qualität voraus. Hier kommen in der Regel nur mensch­liche Über­setzer infrage.

Fallstudien, Blog­artikel, Materialien für das Personal-Recruitment oder -Training, Marketing-Websites, kultur­spezifische oder wichtige interne Mi­teilungen und Unter­nehmens-E-Mails

Mo­ti­vieren

Taglines, Werbe­texte, recht­lich bin­dende Doku­mente, kunden­orientierte Ver­triebs­materialien

RWS_Moravia_Skala_des_emotionalen_Gehalts Je höher der emotionale Ge­halt, desto ris­kanter ist es, sich allein (oder über­haupt) auf die MT zu ver­lassen

Die Wahl des richtigen Übersetzungs­ansatzes

Wahr­scheinlich wer­den Sie fest­stellen, dass die meisten Ihrer In­halte – wie bei der Mehr­zahl der Unter­nehmen – in die ersten drei Kategorien fallen. Folg­lich kommt dafür eine maschinelle Über­setzung infrage. Doch damit sind noch nicht alle wich­tigen Ent­scheidungen ge­troffen. Ins­gesamt gibt es näm­lich vier ver­schiedene Übersetzungs­ansätze:
  1. Rein maschinelle Über­setzung: Je stärker die MT aus­reift, desto mehr Content-Typen können rein maschinell über­setzt werden. Doch allen Fort­schritten und Ver­besserungen zum Trotz sollte die Techno­logie nur für Content mit ge­ringem Risiko ein­gesetzt werden, also für Texte, die nicht per­fekt sein müssen und bei denen keine recht­lichen Kon­sequenzen drohen.
  2. Maschinelle Übersetzung + Plausibilitätsprüfung: Für riskanteren Content, der schnell über­setzt wer­den soll, kann die MT eine Option sein, aller­dings muss die Über­setzung manuell an­hand einer vor­her fest­gelegten Check­liste auf in­akzeptable Fehler ge­prüft und be­wertet wer­den. Falls der Out­put die Qualitäts­vorgaben nicht er­füllt, ist eine gründ­lichere Über­arbeitung durch den Menschen erforderlich:
  3. Maschinelle Über­setzung + manuelles Post-Editing: In diesem Fall über­nimmt die MT-Engine die eigent­liche Ar­beit, aber ein Post-Editor greift an­schließend ein, um den Text den Qualitäts­vorstellungen des Kunden an­zugleichen. Diese Vorgehens­weise eig­net sich be­sonders für Content, der eine ge­wisse per­sönliche Note e­fordert. Zu­gleich können Über­setzer so größere Volumina be­wältigen, als wenn sie alles selbst von Grund auf neu über­setzen würden.
  4. Rein manuelle Über­setzung: Der Content wird im Wesentlichen von Menschen über­setzt, aller­dings mit Unter­stützung durch technische Hilfs­mittel, die die Produk­tivität steigern, etwa CAT-Tools. Für Content mit einem hohen emotionalen Ge­halt, den die MT nicht inter­pretieren kann, ist eine rein manuelle Über­setzung die einzige Option, die in­frage kommt.
Welcher An­satz für Ihre An­forderungen am besten ist, hängt vom emotionalen Ge­halt Ihres Contents ab. Die Ebenen der Emotionalität und die dazu­gehörigen An­sätze lassen sich wie folgt ver­anschaulichen: RWS_Moravia_Skala_des_emotionalen_Gehalts_2 Kernaussage und Informieren: Diese Content-Typen sind ideal für die MT ge­eignet, da der Leser den In­halt ledig­lich im Allgemeinen ver­stehen muss. Schnellig­keit spielt bei solchen In­halten eine größere Rolle als Qualität. Interagieren: Ab die­sem Punkt wird die mensch­liche Kom­ponente im Über­setzungs­prozess wirk­lich wichtig – in diesem Fall, damit die Be­nutzer­oberfläche ein reibungs­loses Er­lebnis bietet. Bei allen Content-Typen, bei denen eine direkte An­sprache der Ziel­gruppe noch wich­tiger ist, sind Sie bes­ser be­raten, ganz auf MT zu ver­zichten. Denk­bar wäre hier zwar auch eine Kom­bination aus MT, manuellem Post-Editing und Tests durch Nutzer (zum Ab­schätzen der Inter­aktion und Re­aktion realer Nutzer), um die MT-Aus­gabe auf ein über­zeugendes, ver­öffentlichungs­reifes Niveau zu brin­gen. Doch ver­gleicht man die Kos­ten dieser drei Ak­tivitäten mit denen einer rein manuellen Über­setzung, ist die Trans­kreation Ihres Con­tents oder eine komp­lette Neu­fassung im Ziel­markt durch ent­sprechende Experten oft günstiger.

Fazit zur MT-Eignung von Content

Ohne Zweifel hat es Vor­teile, den Groß­teil der Über­setzungs­arbeit der Maschine und den Fein­schliff Ex­perten zu über­lassen. Unter Um­ständen ist es sinn­voll, Content zweck­gebunden maschinell über­setzen zu lassen, der sonst wegen eines zu knap­pen Bud­gets un­über­setzt ge­blieben wäre. Summa summarum lohnt sich der MT-Einsatz je­doch nur, wenn der Über­setzungs­prozess da­durch tat­sächlich schneller und kosten­günstiger aus­fällt als bei einer rein manuellen Über­setzung. Wie also finden Sie heraus, welcher Über­setzungs­ansatz für welchen Content in­frage kommt? Lohnt sich eine manuelle Über­setzung, ge­nügt die rein maschinelle Über­setzung oder wäre eine Kom­bination aus beiden am besten? Beraten Sie sich dazu am bes­ten mit Ihrem Über­setzungs­anbieter. Er kann Ihnen bei Fol­gendem helfen:
  • Bestimmung der für die MT geeigneten Inhalte
  • Aus­wahl der passenden Engines je nach Ihren ge­schäftlichen An­forderungen
  • Bereit­stellung des MT-Projekts und lang­fristige Optimierung der In­vestition
Auf unserer Web­site fin­den Sie weitere In­formationen zur Aus­wahl der rich­tigen MT-Engine so­wie zur MT-Bereit­stellung. Außerdem hel­fen Ihnen unsere MT-Experten jeder­zeit gerne weiter.
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Lee Densmer

Lee Densmer ist seit 2001 in der Lokalisierungsbranche tätig. Sie begann als Projektmanagerin und wechselte dann zu Lösungsarchitektur und Marketing-Management. Wie viele Lokalisierungsexperten kam auch sie durch ihr Sprachinteresse und ihre linguistische Ausbildung zu diesem Bereich. Sie hat einen Master-Abschluss in Linguistik von der University of Colorado. Lee Densmer lebt in Idaho und unternimmt gern Auslandsreisen und Ausflüge in die umliegenden Berge.
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