Übersetzer und Dolmetscher: Was ist der Unterschied?

Lee Densmer 24. Okt. 2019
Übersetzer und Dolmetscher: Was ist der Unterschied?
Dolmetscher wie Übersetzer sind un­verzichtbar für die Er­bringung von Sprach­dienstleistungen für unsere globale Gesellschaft. Es ist zwar richtig, dass sowohl beim Über­setzen als auch beim Dolmetschen eine Sprache in eine andere über­tragen wird, aber meist sind das auch schon alle Ge­meinsam­keiten. Die für jeden Beruf be­nötigten Fähig­keiten sind völlig ver­schieden und die Vor­bereitung und Ausführung beider Disziplinen erfordern komplett unter­schiedliche Herangehensweisen.

Geschwindigkeit versus Korrektheit

Diese beiden Faktoren hängen sowohl beim Dolmetschen als auch beim Über­setzen stark voneinander ab. Übersetzer haben Zeit, um ihren Text präzise zu übersetzen. Sie analysieren den Text und über­tragen ihn mit­hilfe ihrer eigenen Fach­kenntnisse, Referenz­tools und Übersetzungs­software sorgfältig schriftlich in die Zielsprache, um eine exakte Entsprechung des Originals zu erstellen. Dolmetscher hingegen müssen schneller reagieren. Es kann simultan oder konsekutiv ge­dolmetscht werden, entweder vor Ort, per Video­konferenz oder über Telefon. In jedem Fall erfolgt die Über­tragung wesentlich schneller als beim Übersetzen. Beim Simultan­dolmetschen muss der Sprach­experte dem ge­sprochenen Text zuhören und diesen übersetzen, während der Sprecher weiter­spricht. Das ist die bevorzugte Variante für Veranstaltungen, die nahtlos ablaufen müssen, wie Kon­ferenzen und Präsentationen. Doch Dolmetscher stehen auch immer wieder vor Heraus­forderungen, wenn sie Rede­wendungen und sprachliche Nuancen über­tragen müssen – und zwar sofort. Beim Konsekutiv­dolmetschen wartet der Dolmetscher, bis der Sprecher eine Pause einlegt, und überträgt das Gesagte dann in die Ziel­sprache. Das ver­langsamt natürlich den Prozess, sorgt aber für eine genauere Übersetzung – das ist wichtig bei Texten, bei denen es auf den exakten Wortlaut ankommt. Das ist beispiels­weise der Fall beim Dolmetschen im juristischen oder medizinischen Bereich, wo die über­tragenen Worte weitaus schwer­wiegendere Folgen für das Publikum haben können.

Remote statt persönlich vor Ort

Übersetzer verbringen die meiste Zeit am Computer und bemühen sich dort um die passende sprachliche Lösung für knifflige schriftliche Ausdrücke. Sie haben keinen direkten Kontakt zum Ziel­publikum. Sie wissen, wen sie ansprechen müssen und wie, und konzentrieren sich darauf, dazu die perfekte schriftliche Entsprechung zu finden. Dolmetscher arbeiten seltener aus der Ferne. Sie sitzen nicht am Computer, sondern stehen im direkten Kontakt mit Menschen. Stellen Sie sich einmal vor, Sie müssten einem aus­ländischen Patienten im Namen des Arztes medizinische Informationen mitteilen oder in einem Gerichts­verfahren das Urteil übermitteln – das sind schwierige Situationen. Dazu braucht es eine Person, die seriös im Auftreten ist und die Informationen absolut exakt und unparteiisch überträgt.

Ausgefeilt versus ad hoc

Übersetzer konzentrieren sich auf perfekte Grammatik, eine gelungene Aus­drucks­weise und geeignete Ent­sprechungen von Rede­wendungen. Sie nehmen sich lieber die Zeit, um den richtigen, kulturell passenden Ausdruck zu finden, als zu riskieren, von der be­absichtigten Aussage des Textes ab­zuweichen. Durch diesen Fokus auf sprachliche Nuancen sind Übersetzer besser im Schriftlichen, aber sie ver­wenden dazu auch häufiger Tools (Translation Memorys, Styleguides und Terminologie­datenbanken, um nur einige zu nennen). Bei Dolmetschern sieht das anders aus: Sie konzentrieren sich auf die umgehende verbale Übersetzung von einer Sprache in die andere. Ihnen stehen nur im be­grenzten Maße hilf­reiche Werkzeuge zur Verfügung. Sie benötigen ein außer­ordentlich umfang­reiches Vokabular in beiden Sprachen und müssen gut zuhören, den ge­sprochenen Text aufnehmen und sehr gut vor Publikum sprechen können. Auch sie müssen in der Lage sein, Nuancen zu erkennen und zu über­tragen, doch Dolmetscher müssen darüber hinaus auch Unterschiede im Tonfall beachten, die die Bedeutung des gesprochenen Wortes verändern. Die Anforderungen beim Simultandolmetschen sind derart hoch, dass Dolmetscher im Tandem arbeiten und sich alle 20–30 Minuten abwechseln, damit sich der andere zwischendurch erholen kann.

Organisatorische Überlegungen

Die Beauftragung eines Übersetzers kann sehr schnell erfolgen: Die Übersetzung eines Textes kann mit einer einzigen E-Mail angefordert werden. Die Planung eines Dolmetsch­einsatzes hingegen kann Wochen oder Monate in Anspruch nehmen. Neben der Akquise ge­eigneter Dolmetscher und der Planung ihres Einsatzes vor Ort müssen Sie sich überlegen, ob der Raum groß genug ist für Dolmetsch­kabinen für das Simultan­dolmetschen, ob die Dolmetscher Überstunden machen oder außerhalb der üblichen Arbeits­zeiten arbeiten sollen und vieles mehr.

Was ist bei beiden Berufen unverzichtbar?

Zum einen die Fachkompetenz. Egal, ob mündlich oder schriftlich, bei einem hoch­spezialisierten Fachgebiet erkennt ein kompetentes Publikum Unstimmig­keiten und In­konsistenzen sofort. Dies kann ein ebenso schlechtes Licht auf den Sprecher oder Autor der Ausgangs­sprache wie auf den Übersetzer oder Dolmetscher werfen und schwer­wiegende Konsequenzen haben, wenn ein Gerichts­verfahren oder ein medizinischer Fall Gegenstand der Übersetzung ist. Selbst bei weniger sensiblen Themen lässt sich ein einmal ge­schädigter Ruf nur schwer wieder­herstellen, deshalb sollte bei der Auswahl des Über­setzers oder Dolmetschers peinlich genau auf die Fachkompetenz geachtet werden. Eine weitere wichtige Fähigkeit ist ein außer­ordentlich gutes Verständnis von Metaphern, Analogien und Redewendungen in beiden Sprachen. Nur in den seltensten Fällen lassen sich diese lin­guistischen Be­sonderheiten direkt in die Ziel­sprache übertragen. Ein kompetenter Übersetzer oder Dolmetscher muss also in der Lage sein, die richtige Ent­sprechung in der Ziel­sprache zu finden. Für Dolmetscher kommen häufig noch zusätzliche Heraus­forderungen hinzu, wenn die Sprecher Dialekte sprechen oder Umgangs­sprache verwenden, denn auch das muss ein Dolmetscher ohne Verzögerung übertragen. Wir bei RWS Moravia nehmen beide Berufe sehr ernst. Wenn Sie Fragen zum Übersetzen oder Dolmetschen haben, freuen wir uns über ihre Nachricht.
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Lee Densmer

Lee Densmer ist seit 2001 in der Lokalisierungsbranche tätig. Sie begann als Projektmanagerin und wechselte dann zu Lösungsarchitektur und Marketing-Management. Wie viele Lokalisierungsexperten kam auch sie durch ihr Sprachinteresse und ihre linguistische Ausbildung zu diesem Bereich. Sie hat einen Master-Abschluss in Linguistik von der University of Colorado. Lee Densmer lebt in Idaho und unternimmt gern Auslandsreisen und Ausflüge in die umliegenden Berge.
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